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Um aus einer Idee einen fertigen Song zu machen, sind gewisse Schritte nötig, die auch in der digitalen Audioproduktion unerlässlich sind. Wo genau sich die klassische Vorgehensweise, die in aller Regel als sequentiell zu betrachten ist, und ihr digitales Pendant, das einfache parallele Arbeitsabläufe ermöglicht, unterscheiden, beleuchtet dieses Kapitel.
2.1 Sequentielle Audioproduktion
Audioproduktionen können naturgemäß nur auf Grundlage eines vorhandenen musikalischen Werkes stattfinden, das gewöhnlicherweise durch einen Künstler komponiert und anschließend arrangiert wurde. Obwohl es grundsätzlich möglich wäre, einem Song auch im Nachhinein Aspekte in seiner zeitlichen Dimension hinzuzufügen, wäre es dennoch ratsam, mit der Aufnahme erst nach dem Vorhandensein eines fertigen Arrangements zu beginnen, da ein nachträgliches Einfügen von Material in aller Regel einen zu hohen Arbeitsaufwand nach sich zieht. Abbildung 1 zeigt das zugrundeliegende Ablaufdiagramm für eine Audioproduktion.
Abbildung 1: Ablaufdiagramm der Audioproduktion
Die Punkte „Mix“ und „Endmix“, auch Mastering, wurden in der Kette der Arbeitsschritte abseits dargestellt, da sie keinen produktiven, sondern in der Regel eher einen alternierenden Charakter haben, der lediglich das Klangbild der Aufnahmen im Nachhinein verändert. Im Rahmen dieser Arbeit wird auf die Punkte „Komposition“ und „Arrangement“ nicht in aller Tiefe eingegangen, da es sich hierbei um künstlerische Aspekte der Audioproduktion handelt, die je nach Stilrichtung oder Intention mannigfaltig sein können. Stattdessen liegt das Augenmerk auf der Aufnahme und dem nachfolgenden (End)mix.
Die Aufnahme selbst unterteilt sich ihrerseits sowohl in klassischer als auch in moderner, digitaler Audioproduktion in drei kategorisierbare Unterschritte, die gewöhnlicherweise nacheinander und aufeinander aufbauend aufgezeichnet werden: Rhythmus, Harmonie und Gesang. Die hier angegebene Aufnahmereihenfolge bietet sich zwingend für jede Komposition an, da ein Sänger schlecht ohne die Harmonien der Instrumente singen kann und die Instrumente nicht ohne zugrundeliegenden Rhythmus spielen können. An dieser Stelle sei angemerkt, dass dies nicht unmöglich ist, aber aufgrund des stark ansteigenden Arbeitsaufwandes wohl kaum als empfehlenswert erachtet werden kann. Entsprechend der genannten Unterschritte ergänzt sich die oben gezeigte Abbildung 1 innerhalb des Punktes „Aufnahme“ wie in Abbildung 2 gezeigt.
Abbildung 2: Aufnahmereihenfolge: Rhythmus, Harmonie und Gesang
Unterstellt man als Aufnahmeobjekt ein klassisches Rockstück, das sich zusammensetzt aus den Instrumenten Schlagzeug, Bass, Rhythmusgitarre, Keyboards, Sologitarren, Lead- und Backgroundgesang, dann ergibt sich als sequentielles und klassisches Audioaufnahmemodell das in nachfolgender Abbildung 3 dargestellte Vorgehen (Keyboards und ähnliche Synthesizereffekte werden im nachfolgenden Verlauf dieser Arbeit als „Ambient“, englisch für „Umgebung“, bezeichnet. Dies kann aber gegebenenfalls auch echte Instrumente wie Streicher oder Bläser beinhalten und richtet sich in erster Linie natürlich nach dem zugrundeliegenden Werk):
Abbildung 3: Sequentieller Ablauf der Aufnahme
Der hier gezeigte sequentielle Ablauf ist die Grundlage für ein methodisches Vorgehen, das wohl für die meisten Songs der Moderne zur Anwendung gekommen ist. Aber selbstverständlich ist es grundsätzlich möglich, gewisse Aufnahmereihenfolgen zu verändern, vor allem innerhalb der horizontal dargestellten Dimensionen Rhythmus, Harmonie und Gesang. Zusätzlich wäre es auch möglich, die bislang stets ans Ende gestellte Dimension des Mixes, also des Abmischens der zu einer bestimmten Zeit zur Verfügung stehenden Audiodaten, nach jeder erfolgten Aufzeichnung erneut vorzunehmen. Abbildung 4 verdeutlicht das:
Abbildung 4: Vorgehen mit zwischengelegten Mischphasen
Ob sich dieses Vorgehen lohnt, hängt von den Zielen ab, die man damit erreichen möchte. Wenn einem Tontechniker Musiker zur Verfügung stehen, die gut mit rohen Aufnahmen umgehen können, die sich zum Teil eklatant von dem zu erwartenden Endprodukt unterscheiden, dann stellt der Zwischenmix in jedem Fall einen unnötigen Arbeitsschritt dar, da sich, wie in späteren Kapiteln noch gezeigt wird, die Hinzunahme eines einzelnen Instrumentes gewöhnlicherweise auf das gesamte (und begrenzte) Frequenzspektrum, bzw. die Verteilung der Instrumente auf demselben, auswirkt. In diesem Sinne müssen Arbeitsschritte, die in vorherigen Mischversuchen vorgenommen wurden, gegebenenfalls sogar zurückgenommen werden. Ein anschauliches Beispiel dafür ist die Rhythmusgitarre, die alleingestellt in vielen Fällen so gemischt wird, dass sie nicht nur hohe, sondern auch tiefe Frequenzbereiche sättigt, um zu einem volleren Klang zu gelangen. Wenn nun ein Bass zusätzlich aufgezeichnet wird, der vor allem in tiefen Frequenzen agiert, dann stehen diese in Konflikt mit den tiefen Frequenzen der Rhythmusgitarre. Die Frequenzen überlagern sich und führen zu einem wenig differenzierten Klangbild, das verwaschen und unprofessionell klingt. In einem solchen Falle müßten die tiefen Frequenzen nachträglich wieder aus der Rhythmusgitarrenspur entfernt werden. Ein Zwischenmix erscheint hier wenig sinnvoll.
Wenn man aber – aus welchen Gründen auch immer – Zwischenversionen seiner Arbeit vorzeigen muß, dann sind wie in Abbildung 4 gezeigte Zwischenmixe ein notwendiges Übel. Grundsätzlich jedoch ist es aufgrund des ansonsten erhöhten Arbeitsaufwandes und auch der verringerten Dynamik ratsam, auf aufwendige Mischversuche zu verzichten, bis alle Instrumente aufgezeichnet vorliegen.
2.2 Parallele Audioproduktion
Die digitale Audioproduktion stellt im Rahmen eines bislang dargestellten sequentiellen Ablaufes keine nennenswerte Verbesserung gegenüber den klassischen Aufnahmemethoden dar. Tatsächlich schränkt auch die klassische Aufnahmetechnik ein paralleles Arbeiten nicht zwangsläufig ein. Abbildung 5 zeigt das Ablaufmodell für parallele Arbeiten ab einem geeigneten Punkt im Projekt:
Abbildung 5: Parallele Aufzeichnungen an einer Grundversion
Nachdem mit Schlagzeug, Bass und Rhythmusgitarren eine Grundversion erstellt und gemixt wurde, können die verbliebenen Instrumente in beliebiger und voneinander unabhängiger Reihenfolge auf ihrer Basis erstellt werden. Je nach zugrundeliegendem Werk kann es auch nötig sein, dass gewisse Instrumente vor anderen aufgezeichnet werden müssen. Der Nachteil der klassischen Audioproduktion liegt hierbei im Wesentlichen auf der Distribution der Grundversion und der aufzuzeichnenden Instrumente, sowie einem präzisen Zeitgeber, der verhindern muß, dass die Grundversion oder die Aufzeichnungen in falschen Tempi abgespielt oder aufgezeichnet werden.
Besonders der parallele Ablauf in Abbildung 5 setzt voraus, dass den beteiligten Musikern bekannt ist, in welcher Art sie ihre Instrumente zur Grundversion hinzufügen müssen, um das vom Komponisten gewünschte Endergebnis zu erreichen. Insbesondere dann, wenn sie, wie gezeigt, unabhängig voneinander arbeiten sollen bzw. müssen. Dies bedeutet, dass die Musiker entweder schon bereits beim Arrangement des Stückes involviert waren, oder eine präzise (und leider auch überaus aufwendige) schriftliche Notation bekommen, bevor sie mit ihrer Aufnahme beginnen können. Letztere Methode sichert dabei jedoch noch lange nicht das Erreichen des gewünschten Ergebnisses, da es in der Musik, vor allem beim Gesang, wesentlich mehr Nuancen gibt, als schriftlich je fixierbar wären. Vor allem im Rahmen einer verteilten und höchst heterogenen Aufnahmeumgebung, wie sie in Kapitel 4 beschrieben wird, ist es nötig, allen beteiligten Akteuren eine präzise Vorstellung vom Endprodukt zu liefern, an der sie sich stets orientieren können. Bestimmte Feinheiten können telefonisch oder gar schriftlich schlicht nicht effektiv genug kommuniziert werden. Wären der Komponist und der Musiker zur gleichen Zeit im gleichen Studio, wäre die Klarstellung bestimmter Wunschaspekte relativ einfach. Bei zeitlich und räumlich getrennten Aufnahmen muß eine Demoversion des Materials vorliegen. Entsprechend ergänzt sich Abbildung 1 um die Demoversion, wie in Abbildung 6 dargestellt:
Abbildung 6: Ablaufdiagramm der Audioproduktion mit Demoversion
Die Erstellung einer Demoversion verdoppelt zwar auf den ersten Blick die Arbeit, aber beseitigt danach vor allem in räumlich und zeitlich getrennten Aufnahmeprozessen die meisten Unklarheiten, ohne eine zusätzliche Kommunikation nötig zu machen. Die Demoversion unterscheidet sich vor allem in Sachen Klangbild und Instrumentendichte von der fertigen Endversion. Sie kann als schnell angefertigter Prototyp betrachtet werden, der aber immernoch hochwertig genug ist, um bis dato unbeteiligten Dritten zu verdeutlichen, wie das Endprodukt später klingen soll. Das in Abbildung 5 gezeigte Vorgehensmodell der parallelen Audioproduktion ergänzt sich dementsprechend um die in Abbildung 7 gezeigte Version, in der die zuvor erstellte Demoversion immer als Grundlage für die Musiker hinzugezogen wurde.
Abbildung 7: Parallele Aufnahmeprozesse mit Demoversion
Abbbildung 7 verdeutlicht die Wichtigkeit und Allgegenwärtigkeit der Demoversion im eigentlichen Produktionsprozess und ist darüberhinaus die Grundlage für das später in Kapitel 4 beschriebene Beispiel.
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